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Friedensgruß beim Abendmahl

von Pfr. Dr. Reinhard Junghans, 07.04.2025

Das Abendmahl erlangte im Laufe der Zeit verschiedene Bedeutungen, die Glaubende unterschiedlich wichten. Die Einsetzungsworte fokussieren auf die Sündenvergebung. Dieser Gesichtspunkt ist insofern naheliegend, da das letzte Mahl Jesu mit dem Pesachfest verbunden ist. Anfänglich war das Pesachfest ein Fest in der Erinnerung an die Befreiung des Volkes Israel aus der Knechtschaft aus Ägypten. Die erste Beschreibung des Pesachfestes nimmt auf ein Ereignis aus ägyptischer Zeit Bezug, ohne das Thema der Sündenvergebung zu berühren (Exodus 12, 1-20). Hier ist vor allem von einem Lamm als Opfertier die Rede, aber auch Ziegen sind im Blick. In den Anfängen bis heute war und ist das Pesachmahl vor allem eine Familienfeier in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten als Befreiungstat Gottes. Mit der Flucht aus Ägypten wertete erstmals ein Volk die Freiheit höher als den Wohlstand, was aber auch zu intensiven inneren Diskussionen über die Fleischtöpfe Ägyptens führte (Exodus 16).

In dem Maße, wie das Pesachfest auch am Jerusalemer Tempel als zentrale Feier begangen wurde, spielte zunehmend die Befreiung des Volkes Israel von der Sünde eine Rolle (Hesekiel 45, 21-24). In der Beschreibung beim Propheten Hesekiel ist es ein Stier, der dafür geopfert wird. Aber auch der Bericht in Numeri 9, 4-14 über die Zeit mit Mose greift das Thema der Sünde auf. Dabei bleibt es etwas unklar, ob die Sünde darin besteht, dass man am Pesachfest nicht teilnahm, oder sie behält, weil man infolge der Nichtteilnahme nicht von den Sünden befreit wird. In diesem Bericht werden Schafe und Rinder als Opfertiere vorgesehen.

Diese theologische Deutung der Sündenbefreiung greift der Hebräerbrief auf (2, 17; 5, 1-6; 9, 6-14). Jesus wird hier zum Hohenpriester, der sich als Botschafter Gottes in dessen Auftrag selbst für die Sünden der Menschen opfert. Zur Zeit Jesu gehörte das damals übliche Opferlamm elementar zum Pesachfest, wie es dann die Christen in Jesus Christus sahen (1. Kor 5, 7). Aus dieser Verbindung entwickeln sich dann viele Darstellungen in der christlichen Kunst und auch entsprechende Sprachbilder. Der Hebräerbrief nennt auch andere Opfertiere, aber das Lamm setzt sich für die weiteren theologischen Betrachtungen durch (9, 12). 

Der Tod Jesu und das gleichzeitig stattfindende Pesachfest am Jerusalemer Tempel mit dem Schlachten des Opferlammes waren eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich die christliche Theologie entwickeln konnte. Infolge der Gleichzeitigkeit sprang die Theologie des Pesachfestes auf das Osterfest über, wobei sie neue Ausprägungen erhielt. Wenn die Kreuzigung Jesus 14 Tage vor oder nach dem Pesachfest stattgefunden hätte, hätte sich auf jedem Fall eine andere christliche Theologie entwickelt, wenn sie sich überhaupt entwickelt hätte. Insofern ist das präzise Handeln Gottes hinter allen normal erscheinenden Begebenheiten die Grundlage für die Weiterentwicklung der jüdischen zur christlichen Theologie.

Der Tod des Opferlammes in Jesus Christus bedeutete nun nicht mehr nur die Befreiung von der Sünde eines Volkes, sondern die Befreiung aller Menschen von der Sünde, ganz gleich in welchem Zeitalter sie lebten oder noch leben werden. Mit diesem Paradigmenwechsel begann das universelle Denken des christlichen Glaubens, das dann auch die Mission über die Grenzen Israels hinausbewegte (Apostelgeschichte 8, 26-40; 16, 9-15). Wobei auch der jüdische Glaube universelle Perspektiven hat, wenn Fremdlinge am Pesachfest vollwertig teilnehmen können (Numeri 9, 14), wenn man die Gültigkeit der Zehn Gebote betrachtet (Exodus 20, 10; Leviticus 19, 34f) oder wenn Jesaja seine Friedensvision für alle Völker entwickelt (Jesaja 2, 1-4). 

Ein weiterer Paradigmenwechsel vom Pesach- zum Osterfest war die Aufgabe des Opferkultes durch die Christen. In dem Opfer von Jesus Christus wurde das einmalige und universelle Handeln des barmherzigen Gottes gesehen. Damit waren alle weiteren religiösen Opfer hinfällig. Die Gerechtigkeit vor Gott erlangt der Mensch nicht durch religiöse Opfer oder Werke, sondern durch den Glauben (Römer 3, 28). Diese von Gott geschenkte Gerechtigkeit sollte Menschen zu einem aufopfernden Handeln und zu guten Werken motivieren (Jakobus 2, 24). Die Reihenfolge ist in der neutestamentlichen und reformatorischen Theologie eindeutig. An erster Stelle steht das Handeln Gottes mit dem Angebot der Sündenvergebung, auf das der Mensch entsprechend antworten kann. Es wird die Theologie abgelehnt, dass sich der Mensch durch religiöse Werke selbst vor Gott gerecht machen kann.

In der neuen agendarischen Ordnung unserer Gottesdienste steht nun der Friedensgruß vor der Ausspendung von Brot und Wein im Abendmahl zwischen Vater unser und Agnus dei bzw. direkt vor der Austeilung. Passt diese Stellung zu unserer protestantischen Theologie?

Das Argument für die Stellung des Friedensgrußes geht auf ein Wort Jesu aus der Bergpredigt zurück (Matthäus 5, 23f): „Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe.“

Nun wird dieser Gang zum Altar mit dem Gang zum Abendmahl gleichgesetzt und daraus gefolgert, dass es sinnvoll ist, sich vor dem Empfang des Abendmahls zu versöhnen und sich Frieden zu wünschen. Dahinter steckt auch die Vorstellung, dass das Abendmahl nicht nur die Sündenvergebung im Blick hat, sondern ebenso ein Stück dem himmlischen Mahl vorgreift, das den Glaubenden verheißen ist. Dort ist natürlich kein Platz für Sünder oder mit Schuld beladenen Menschen, denn dort versammeln sich die Erlösten. Dafür spricht auch das Gleichnis von der königlichen Hochzeit, in dem derjenige ohne hochzeitliches Gewand herausgeschmissen wird (Matthäus 22, 1-13).

In dieser Gedankenfolge gibt es viele wichtige und richtige Aspekte, die aber so nicht zusammenpassen. Was ist eigentlich, wenn jemand den Friedensgruß erkennbar verweigert? Soll er dann vom Abendmahl ausgeschlossen werden?

Die von Jesus vorgestellte Episode geht auf jüdische Frömmigkeit zurück, durch eine Opfergabe Gott gnädig zu stimmen. Diese Kritik an der Opfergabe, ohne dass es dazu einen gottgemäßen Lebenswandel gibt, kann schon bei den Propheten nachgelesen werden (Jesaja 1, 10-20; Jeremia 8, 5-9). Für Christen hängt die Sündenvergebung aber nicht an einer Opfergabe, sondern an dem versöhnenden Handeln Gottes in Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi. Insofern kann diese Episode nicht einfach so auf das Abendmahl übertragen werden. Mit dem Vollzug des Abendmahls wird dem Glaubenden die Sündenvergebung geschenkt. Welchen Sinn hat dann der Friedensgruß vor der Austeilung von Brot und Wein, wenn nur friedliche Menschen an den Tisch des Herrn treten, die doch dann der Sündenvergebung nicht mehr bedürfen?

Wenn wir uns das letzte Mal Jesu mit seinen Jüngern anschauen (Matthäus 26,17–29), stellen wir fest: Es war eine illustre Runde, die sich von heutigen Abendmahlsgemeinschaften mit den verschiedensten Menschen kaum unterscheiden dürfte. Der eine der Jünger Jesu wird ihn verraten (Matthäus 26, 14-16. 47-50) und der andere verleugnen (Matthäus 26, 33-35. 69-75). Die Zulassung zu diesem Mahl verband Jesus keinesfalls mit Vorleistungen. Im Gegenteil, er wusch seinen Jüngern die Füße (Johannes 13, 1-11). Das Handeln Jesu heiligte die Menschen, ohne dass die Teilnehmer dazu irgendwelche Voraussetzungen erbringen müssen oder eben auch können.

Es kann für einen Menschen wichtig sein, vor dem Abendmahl mit seinem Mitmenschen versöhnende Worte auszutauschen. Ob dieses Vorhaben aber in einer spontanen Geste vor dem Abendmahl angemessen umgesetzt wird, kann hinterfragt werden, weil doch in solchen Fällen mehr Worte nötig sind. Manche Menschen erleben diese Friedensgeste auch als Zwang, weil sie mitunter hygienische Bedenken haben oder mit dem Nachbarn in den Bankreihen nichts anzufangen wissen, weil sie ihn nicht kennen. Anderen Menschen ist diese Friedensgeste vor dem Abendmahl äußerst wichtig. Da gibt es in den Gemeinden einfach ein unterschiedliches Erleben.

Bei der Perspektive des Abendmahls über die Sündenvergebung hinaus das himmlische Mahl bei Gott in den Blick zu nehmen, ist zweifelsohne ein wichtiger Gesichtspunkt. In dem Gleichnis von der königlichen Hochzeit werden dann ausdrücklich Gute und Böse eingeladen. Es wird nicht verlangt, dass sich insbesondere die Bösen erst bessern müssen oder reinigen müssen. Allein ein hochzeitliches Gewand als Zeichen für ihre Glaubenshaltung reicht bei dem Matthäusevangelisten (11, 13) aus, dass sie dort sitzen bleiben dürfen. Beim Lukasevangelisten (14, 21) sind es die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen. Es ist wiederum die Glaubenshaltung entscheidend, vom barmherzigen Gott Versöhnung und Heilung der Seele zu erwarten. Mit dieser Erwartungshaltung dürfen wir voraussetzungslos zum Abendmahl kommen. Wodurch diese Glaubenshaltung erkennbar bleibt, ist durch Nichts konkret festgelegt. Diese Glaubenshaltung auf einen liturgischen Ritus zu begrenzen, dürfte auf jedem Fall unangemessen sein, was durch den jetzigen Gebrauch des Friedensgrußes so auch nicht beabsichtigt ist.

Der Drang des Menschen doch irgendwie etwas für seine Erlösung vor Gott zu tun, ist auch im Protestantismus ungebrochen. Es fällt gerade den aktiven Menschen schwer, sich einfach beschenken zu lassen, wenn man doch sonst für andere sorgt. Es gehört aber zu dem Geheimnis unseres Glaubens, das in dem Beschenken-Lassen der Gnade Gottes die Voraussetzung gesehen wird, menschlich kreativ zu handeln. Die biblisch-reformatorische Theologie legt auf diese Perspektive aus gutem Grund einen großen Wert, weil sie sonst fürchtet, Menschen verlassen sich vorzugsweise auf ihre Künste und nicht auf das versöhnende Handeln des barmherzigen Gottes.

Wenn wir uns wichtige Inhalte des Abendmahls, wie Sündenvergebung und das zukünftige Mahl am Tisch des Herrn, vergegenwärtigen, kann dem Friedensgruß in der Abendmahlsfeier ein besserer Platz zugewiesen werden. Nach dem Empfang des Abendmahls ist die Sündenvergebung vollzogen und die Menschen können sich befreit den Frieden wünschen. In der Regel wird das Abendmahl in großen Runden vor dem Altar gefeiert und mit einem (biblischen) Spruch beendet. In dieser Gemeinschaft kann jeder seinem Nachbarn oder, wenn gewünscht, auch darüber hinaus den Frieden wünschen. Es stehen dann in der Regel, die Menschen nebeneinander, die sich kennen. Damit wird eine positive Wirkung des Abendmahls aufgezeigt und zugleich praktiziert, die sich dann im Alltag in vielfältiger Weise fortsetzen kann und sollte.

Diese Reihenfolge macht deutlich, welche befreiende Wirkung eben aus der Sündenvergebung erwächst. Das Abendmahl ist eben nicht Endpunkt einer religiösen Handlung, sondern der Ausgangspunkt für ein Handeln aus dem Glauben heraus. Der Friedensgruß an diesem Platz erzählt auch etwas von dem Frieden, den unsere Glaubenshoffnung in der Gemeinschaft bei Gott erwartet und der uns herausfordert, diesen auch in die Welt hinauszutragen und in der Gegenwart zu gestalten.

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